Nachfolgend ein Beitrag vom 13.2.2019 von Fischer, jurisPR-ArbR 6/2019 Anm. 1
Leitsatz
Ein bestreikter Arbeitgeber ist grundsätzlich berechtigt, mittels Zahlung einer Streikbruchprämie einem Streikdruck zu begegnen.
A. Problemstellung
„Alles vollzieht sich nach einem Gesetz, dem Gesetz des Geldes, dem Gesetz der Macht.“ So der Schlusschor in Kurt Weills und Caspar Nehers Oper „Die Bürgschaft“, die bei einer Triple-Uraufführung in Erfurt, Magdeburg und Leipzig am 18.02.1933 zwar von der Kritik gefeiert, von dem Nazi-Schlägertrupps aber ihres kurzen Daseins beraubt wurde (vgl. dazu meinen Aufsatz: Rechtliche, rechtshistorische und rechtssoziologische Anmerkungen zu Kurt Weills und Caspar Nehers Oper: Die Bürgschaft, NJW 2004, 558). Da sie deshalb unbekannt ist, ist unwahrscheinlich, dass sich der Arbeitgeber bei seiner den Rechtsstreit auslösenden Entscheidung, eine Streikbruchprämie auszuloben, von dem eingangs zitierten Statement leiten ließ. Wahrscheinlicher, jedoch nicht zu beweisen, ist, dass es Liza Minnelli’s Song in dem vielfach Oskar-prämierten Film „Cabaret“ war, der ja auch Anfang der Dreißigerjahre spielt: „Money makes the world go ‚round…the clinking, clanking sound of…“.
Tatsache ist, dass die hier zu besprechende Entscheidung des Arbeitskampfsenates des BAG – jenseits der abzuarbeitenden Rechtsfragen – von Geld und Macht handelt. Von kollektivem Betteln und den Lockungen finanzieller Köder. Von Arbeitnehmern, die als Vollzeitbeschäftigte 1.480 Euro brutto monatlich verdienen und Arbeitgebern, die für einen Streikbrechertag bis zu 200 Euro zahlen (allerdings Teilzeitbeschäftigte nur anteilig). Das BAG hatte hier zum wiederholten Male Gelegenheit, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Arbeitgeber seinem Arbeitskampfarsenal auch die Auslobung von Streikbruchprämien hinzufügen darf.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger, Betriebsobmann und Mitglied im Gesamtbetriebsrat eines Einzelhandelsunternehmens, nahm am 15.10.2015, 12.11.2015, 05.12.2015, 19.12.2015, 06.02.2016 und 08. bis 10.02.2016 sowie am 01.04.2016 an einem gewerkschaftlich organisierten Streik teil. Am 16.10.2015 besuchte er eine Schulungsmaßnahme nach § 37 Abs. 6 BetrVG. Der Arbeitgeber lobte für die beiden ersten Tage je 200 Euro, für die anschließenden Streiktage 100 Euro Streikbruchprämie aus. Der Kläger war der Ansicht, ihm stehe, da die Auslobung der Prämie rechtswidrig gewesen sei, diese ebenso zu und klagte auf Zahlung. Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen (ArbG Braunschweig, Urt. v. 02.06.2016 – 6 Ca 529/15). Das Landesarbeitsgericht kam zum gleichen Ergebnis (LArbG Hannover, Urt. v. 18.05.2017 – 7 Sa 815/16). Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Rechtmäßigkeit der vom Arbeitgeber vorgenommenen Auslobung sich an der Frage der Höhe derselben entscheide. Der Tagessatz von 200 Euro sei „unverhältnismäßig und damit rechtswidrig“, weil dieser Betrag fast das Vierfache des normalen Lohnes eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers übersteige. Der hälftige Betrag sei jedoch nicht zu beanstanden. Somit scheide ein Anspruch des Klägers aufgrund seiner Streikteilnahme für die mit 100 Euro ausgelobten Tage aus. Da die 200 Euro rechtswidrig gewesen seien, habe der Kläger jedoch keinen Anspruch. Denn: „Denn es gibt keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht (BAG, Urt. v. 21.06.2006 – 2 AZR 300/05 Rn. 27).“
Das BAG kommt zum gleichen Ergebnis, jedoch mit einer völlig anderen Begründung.
Nach Auffassung des BAG kann der Kläger die begehrten Prämienzahlungen nicht auf eine in den betrieblichen Aushängen zu sehende Gesamtzusage stützen. Er erfülle nicht deren Voraussetzungen. Eine Rechtsgrundlage für die streitbefangenen Zahlungen sei auch nicht durch die Gesamtzusage in Verbindung mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder durch das Maßregelungsverbot des § 612a BGB oder – was nur die für den 16.10.2015 verfolgte Prämienzahlung betreffen könnte – durch das betriebsratsamtsbezogene Benachteiligungsverbot vermittelt.
C. Kontext der Entscheidung
Bei der rechtlichen Bewertung der auf den ersten Blick paradoxen Klagen streikender Arbeitnehmer auf Auszahlung von Streikbruchprämien stellen sich zwei Fragen: Die erste ist eindeutig kollektiv-rechtlich grundiert und somit unmittelbar im originären Arbeitskampfrecht verortet. Sie lautet: Darf ein Arbeitgeber Streikbruchprämien ausloben und auszahlen um damit einen rechtmäßigen Arbeitskampf einer Gewerkschaft zu unterlaufen? Oder anders formuliert: Stellen Streikbruchprämien ein rechtmäßiges arbeitgeberseitiges Arbeitskampfmittel dar? Der eigentliche Inhaber eines Abwehrrechtes, sollte sich das Arbeitskampfmittel als rechtswidrig erweisen, wäre in diesem Falle die Gewerkschaft, in deren Grundrechte nach Art. 9 Abs. 3 GG eingegriffen würde. Da auch die einzelnen Mitglieder einer Gewerkschaft Träger der positiven Grundrechte aus Art. 9 Abs. 3 GG sind, können ggf. auch diese einen Unterlassungsanspruch geltend machen, der sich aber nur auf die negatorischen Rechte bezöge und nicht auf Leistungsansprüche.
Die zweite, eindeutig individualrechtliche Frage stellt sich auf einer ganz anderen Ebene: Hat ein Streikender dann, wenn der Arbeitgeber an Nichtstreikende eine Prämie zahlt – sei es berechtigt oder unberechtigt – einen individualrechtlichen Anspruch auf Zahlung exakt in Höhe dieser Prämie?
Das BAG setzt sich mit ausführlicher Begründung mit beiden Fragen auseinander und bereichert so im Ergebnis das arbeitgeberseitige Arbeitskampfarsenal.
I. Zur Zulässigkeit einer Streikbruchprämie
Anders als das Landesarbeitsgericht bewertet das BAG die Zulässigkeit einer Streikbruchprämie nicht (nur) nach Maßgabe deren Höhe, sondern liefert ein beeindruckendes dogmatisches Konstrukt dafür, dass nach seiner Auffassung die Zahlung einer Streikbruchprämie unproblematisch ist. Ausgehend von der Tatsache, dass der Gesetzgeber auch weiterhin, trotz der daran auch vom Verfasser geübten Kritik (vgl. Fischer, RdA 2009, 287), darauf verzichtet, das Arbeitskampfrecht gesetzlich zu regeln, bekräftigt das BAG zunächst einmal seine Befugnis, das Recht der Arbeitskampfmittel selbst zu gestalten. Ein Element seiner Rechtsprechung ist das Dogma der Kampfparität, ein anderes sich aus der Verfassung ergebendes, das Verhältnismäßigkeitsprinzip.
Folglich prüft das BAG, ob eine Streikbruchprämie zur Erreichung eines rechtmäßigen Arbeitskampfzieles geeignet und erforderlich ist und bezogen auf das Kampfziel angemessen, also proportional eingesetzt wird. Alle diese Elemente werden vom BAG als gegeben angesehen, so dass sich das Prüfungsergebnis des BAG an die bisherige Rechtsprechung nahtlos anschließt. Ein Novum beinhaltet allerdings die nunmehr klare und definitive Aussage des BAG, dass die Höhe der Streikbruchprämien „regelmäßig kein geeignetes Kriterium“ im Rahmen des Prüfungskataloges darstellt. Die Begründung lässt aufhorchen, weil sich das BAG hier auf wirtschaftspsychologisches Terrain begibt, ohne dafür empirische Daten zu liefern. Es meint: „Ein Arbeitgeber wird das Streikbruchprämienversprechen typischerweise nicht so ausgestalten, dass ihn die streikbedingten Sonderzahlungen finanziell stärker belasten als ein Nachgeben gegenüber den Forderungen der streikführenden Gewerkschaft. Ungeachtet dessen bewirkt auch eine gegenüber dem Entgeltanspruch der zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer sehr hohe Streikbruchprämie nur einen Anreiz und keinen Zwang, nicht am gewerkschaftlichen Streik teilzunehmen. Insoweit ist die Gewerkschaft dem Arbeitskampfmittel nicht in dem Sinne ausgesetzt, dass ihre Chancen zur Herbeiführung eines angemessenen Verhandlungsergebnisses von vornherein als ausgeschlossen erscheinen.“
Da ist er wieder, der lupenreine „Homo Oeconomicus.“ Und dabei war der Verfasser der Auffassung, dieses Kunstprodukt theoretischer Wissenschaft habe auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion seine Hochzeiten hinter sich gelassen. Aber man lernt dazu: Das BAG weiß, Entscheidungen im Arbeitskampfrecht laufen schlicht nur nach ökonomischen Überlegungen. Emotionen, Ängste, Verlockungen, Fantasien, all das hat hier keinen Platz. Und auch das europäische Recht, so das BAG, vermag diesen Sachverhalt nicht zu ändern.
So leid es mir angesichts der ausführlichen Begründungsführung des Ersten Senats tut: Ich kann dieser Rechtsprechung nicht zustimmen, weil sie eine soziologische und psychologische Durchdringung des Phänomens Arbeitskampf vermissen lässt. Und das, obwohl jeder Arbeitskampf – jedenfalls in unseren Breiten – in jeder Hinsicht eine Ausnahme- und Extremkonstellation darstellt. Dabei weiß ich sehr wohl zu würdigen, dass der Arbeitskampfsenat des BAG, gegen den teilweise erbitterten Widerstand anderer Interessenvertreter, als ich einer bin, in den letzten Jahren dem Arbeitskampfrecht wichtige freiheitliche Impulse hinzugefügt hat: genannt seien die Urteile zum, Sozialplantarifvertrag (BAG, Urt. v. 06.12.2006 – 4 AZR 798/05 – BAGE 120, 281), zum Flashmob (BAG, Urt. v. 22.09.2009 – 1 AZR 972/08 – BAGE 132, 140) und letzthin zur Parkplatznutzung (BAG, Urt. v. 20.11.2018 – 1 AZR 12/17). Ebenso wahr ist aber auch, dass diese Rechtsprechung konterkariert wird durch Entscheidungen wie die vorliegende.
Vorliegend ging es um die Abwehrrechte eines Arbeitgebers gegen einen „klassischen Streik“. Alles nachfolgende bezieht sich nur darauf, und ist sich bewusst, dass es Sonderkonstellationen neuer bzw. anderer Streikformen geben kann, in denen anders gedacht werden muss. Hier aber gilt: Ein klassischer Streik ist die vertragswidrige aber gerechtfertigte Nichterbringung der Arbeitsleistung, wenn der streikende Arbeitnehmer einen gewerkschaftlichen Streikaufruf zur Erreichung eines tarifvertraglich regelbaren Zieles gefolgt ist. Der Streikaufruf wendet sich zunächst einmal an die Gewerkschaftsmitglieder selbst. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ist nur gegen die Entrichtung nicht unerheblicher Mitgliedsbeiträge erhältlich. Die Teilnahme an einem Streik ist mit dem Vergütungsverlust verbunden, der zwar unter bestimmten Voraussetzungen um keineswegs immer unvollständig durch das Streikgeld der Gewerkschaft gemindert wird. Dieser finanzielle Nachteil ist logischerweise aus Arbeitnehmersicht ein ganz wesentlicher Antifaktor im Arbeitskampfrecht.
Richtig ist, dass durch Nichterbringung der Arbeitsleistung beim Arbeitgeber oftmals – aber keineswegs immer, manchmal ist der Arbeitgeber sogar froh, wenn er nicht produzieren muss – eine größere Schädigungswirkung eintritt, als beim einzelnen Arbeitnehmer. Das ist aber gerade Sinn und Zweck eines Streiks. Denn wenn dieser nur die Wirkung hätte, dass der Arbeitgeber den Lohn nicht zahlen müsste, wäre ein Streik nichts anderes als das sprichwörtliche „Säuseln im Winde.“
Nun stellt die Rechtsordnung dem Arbeitgeber jedoch nicht nur das Durchstehen eines Arbeitskampfes zur Verfügung, sondern weitere Arbeitskampfmittel, denen auf Arbeitnehmerseite nichts Gleichwertiges gegenübersteht: Die Aussperrung ist immer noch im Kampfarsenal der Rechtsprechung des BAG vertreten. Die Einstellung von Streikbrechern gehört zur ständig geübten Praxis. Dem steht auf Arbeitnehmerseite lediglich der Flashmob gegenüber, ein äußerst schwieriges und sperriges Arbeitskampfmittel mit erheblichen Risiken und Nebenwirkungen, das deshalb selten bzw. nie (mehr) eingesetzt wird bzw. wurde.
Hier zeigt sich bereits, dass von einer Symmetrie des Arbeitskampfes, die auch nach der Rechtsprechung des BVerfG ein gewisses Ideal darstellt, keine Rede sein kann. Asymmetrische Effekte entstehen auch dadurch, dass jeder Arbeitnehmer weiß, auch wenn er noch nie gestreikt hat, dass die Streikteilnahme nicht dazu führt, dass nach Beendigung eines Streiks die streikenden Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitnehmern, die sich in einem Streikaufruf nicht beteiligt haben, bevorzugt behandelt werden, um es mit einem Schuss Ironie zu formulieren. Bekanntlich sind die Weisungsrechte des Arbeitgebers vielgestaltig und die Möglichkeiten, das Arbeitsumfeld zu gestalten ebenso.
Ich räume ein, dass eine faktische asymmetrische Konstellation zulasten des Arbeitgebers oft durch die Medienberichterstattung entsteht. Dies nicht zuletzt deshalb, weil in den Medien naturgemäß überwiegend weisungsabhängige Arbeitnehmer beschäftigt werden. Aber auch diese grundsätzlich positive Medienmelodie ist keine Garantie und keine konstitutive Konstante im Arbeitskampf. Der Verfasser kennt aus eigener Erfahrung zumindest einen Gewerkschaftsfunktionär, der im Rahmen von rechtmäßigen und erfolgreichen Arbeitskämpfen als „der Wahnsinnige“, der „Irre“ tituliert wurde.
Selten finden in der Bewertung von Arbeitskampfmaßnahmen auf Arbeitnehmerseite darüber hinaus sozusagen „weiche Faktoren“, die familiäre Konstellation, die kommunikative Konstellation in den sozialen Netzwerken der realen Welt, eine Berücksichtigung. Vielfach müssen sich Arbeitnehmer nämlich dafür rechtfertigen, dass sie ihre Familien in finanzielle Bedrängnis bringen, wenn sie sich an einem Arbeitskampf beteiligten, ihnen wird Verantwortungslosigkeit attestiert, weil sie z.B. den Ausfall von Verkehrsmitteln, das Nichterscheinen von Zeitungen usw. bewirken.
Zahlt nun ein Arbeitgeber eine Streikprämie, wird der Druck auf streikende Arbeitnehmer aus diesem Bereich natürlich noch höher. Es geht hier nicht nur um eine Entscheidung, die der Einzelne für sich trifft, sondern um eine Entscheidung, die eine Vielzahl anderer Personen mit betreffen kann. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ehemann, dem gerade noch 500 Euro fehlen, um sich einen lange gehegten Wunsch zu erfüllen, seiner berufstätigen Ehefrau, die vor der Entscheidung steht, durch Teilnahme an einem Streik nicht nur Vergütungseinbußen zu erleiden, sondern darüber hinaus auch auf genau diese 500 Euro Streikbrecherprämie zu verzichten, anrät, an dem Streik teilzunehmen? Damit sind wir beim Kernpunkt des Problems, der Macht des Geldes oder der Sogwirkung „of that clinking, clanking sound“ desselben.
Nun könnte man einwenden, es sei doch der Gewerkschaft unbenommen, den Arbeitgeber dadurch auszukontern, dass nicht 200 bzw. 100 Euro angeboten werden, sondern 250 bzw. 125 Euro, wenn das Arbeitgeberangebot abgelehnt wird und eine Beteiligung am Streik erfolgt. Abgesehen davon, dass dagegen wohl einige vereinsrechtliche Aspekte ins Feld zu führen wären, wäre es für den Arbeitgeber wahrscheinlich wiederum reizvoll, die ausgelobte Summe dann seinerseits wieder zu erhöhen usw. Letztendlich würde es auf den wirtschaftlich Stärkeren ankommen. Wer ist der wirtschaftlich Stärkere im Arbeitsrecht, worauf beruht überhaupt das Arbeitsrecht, doch wohl darauf, dass ein wirtschaftliches Gefälle zwischen den beiden Vertragsparteien besteht. Dieses abzumildern ist Aufgabe eines freiheitlichen Arbeitskampfrechtes. Es wiederherzustellen nicht unbedingt.
Was will der Autor damit sagen? Er bringt seine Meinung zum Ausdruck, dass der Einsatz finanzieller Mittel im Arbeitskampf ein untaugliches, weil asymmetrisches Element ist. Anders als das BAG meint, ist es im Kern nicht geeignet, die Richtigkeitsgewähr eines auszuhandelnden Tarifvertrages zu bestätigen.
II. Individualrechtliche Anspruchsgrundlage für einen streikenden Arbeitnehmer auf Streikbrecherprämien
Aber obwohl ich diese Auffassung vertrete, wäre auch bei mir der Kläger gescheitert. Denn die Überlegungen des BAG zur zweiten Frage, also der nach der individualrechtlichen Anspruchsgrundlage für einen streikenden Arbeitnehmer auf Streikbrecherprämien, halte ich jedenfalls im Ergebnis für völlig zutreffend. Wie ich bereits versucht habe, deutlich zu machen, geht es im Arbeitskampf ausschließlich um ein kollektives Geschehen in einem multikausalen Zusammenhang. Wenn der Arbeitgeber in diesem kollektiven Geschehen rechtswidrige Mittel einsetzt, dann ist es Sache der Gewerkschaft, die den Arbeitskampf führt – und nach nationalem deutschen Recht führt eben nur eine Gewerkschaft einen Streik und nicht ein einzelner Arbeitnehmer – sich dagegen zur Wehr zu setzen.
Eine Anspruchsgrundlage für den einzelnen Arbeitnehmer, individuell finanzielle Vorteile in Anspruch zu nehmen, deren Voraussetzungen er nicht erfüllt bzw. deren Grundlage rechtswidrig ist, vermag ich nicht zu erkennen. „Wasch mir den Pelz und mach mich nicht nass“, nein, so funktioniert Arbeitskampfrecht nicht.
Wer zu Beginn der Lektüre dieser Anmerkung über den ersten Satz stolperte und ihn dem Bereich ideologischer Verblendung zuordnete, kruden Vulgärmarxismus vermutete, hätte nun Gelegenheit durch wohlwollendes Zurkenntnisnehmen meiner Auffassung den Satz als falsch zu klassifizieren.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Auswirkungen für die Praxis liegen auf der Hand: Die Arbeitgeber haben nunmehr freie Bahn, was die Ausgestaltung von Streikbrecherprämien angeht. Zwar hat das BAG ein kleines Schlupfloch belassen, indem es davon spricht, die Höhe der Streikbruchprämie sei regelmäßig „ohne Belang“, ohne näher zu definieren, was es mit Regelmäßigkeit meint. So wie das Urteil des BAG angelegt ist, müssen aber wohl ganz erhebliche Asymmetrien zum Tragen kommen, um hier eine andere Bewertung zu bewirken.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Ein weiterer Themenschwerpunkt der Entscheidung ist die betriebsverfassungsrechtliche Konstellation, die dadurch entstanden ist, dass der Kläger an einem der Streiktage an einer betriebsverfassungsrechtlichen Schulungsmaßnahme teilgenommen hatte. Hier bekräftigte und bestätigt das BAG zunächst eine schon bisherige Rechtsprechung, dass auch während eines Streiks betriebsverfassungsrechtliche Aufgabenerbringungen zu vergüten sind. Denn – so das BAG völlig zu Recht – auch im Rahmen von Arbeitskampfmaßnahmen gilt das Betriebsverfassungsgesetz weiter. Nimmt also ein Betriebsratsmitglied, das ansonsten streikt, an einer Schulungsmaßnahme nach § 37 Abs. 6 BetrVG teil, ist diese Tätigkeit zu vergüten, alles andere wäre eine Benachteiligung eines Betriebsratsmitgliedes. Etwas anderes allerdings kann gelten, wenn ein Betriebsratsmitglied während der Schulungsmaßnahme aktiv für den Streik wirbt, z.B. E-Mails schreibt, Presseerklärungen abgibt usw. In der Logik des gesamten Urteils und ebenso der diesseitigen Überlegungen ist dann allerdings auch die Schlussfolgerung, dass dann auch für diesen Tag dem Betriebsratsmitglied keine Streikbruchprämie zusteht.
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