Nachfolgend ein Beitrag vom 5.7.2018 von Drews, jurisPR-ÖffBauR 7/2018 Anm. 2

Leitsatz

Eine Garage verliert ihr Abstandsprivileg nicht dadurch, dass auf ihrem Dach eine vom Wohnhaus zugängliche Terrasse angelegt wird. Es kommt allein darauf an, ob sie für sich und die Terrasse als Teil des Wohnhauses die Abstandsvorschriften einhält.

A. Problemstellung

Im zugrunde liegenden Sachverhalt wenden sich die Nachbarn gegen die Genehmigung eines Wohnhauses auf ihrem westlichen Nachbargrundstück. Sie halten vor allem die Genehmigung einer vom ersten Obergeschoss des Wohnhauses zugänglichen Terrasse auf dem ihnen zugewandten Garagendach für unzulässig. Das VG Osnabrück als Ausgangsinstanz und das OVG Lüneburg als Beschwerdeinstanz hatten zu entscheiden, ob der Garagenanbau wegen der auf einem Teil seines Daches ruhenden Terrasse abstandsrechtliche Vorschriften verletzt, obwohl die Terrasse selbst die erforderliche Abstandsfläche zum Nachbargrundstück einhält. Den gegen die Vollziehbarkeit der Baugenehmigung gestellten Eilantrag haben beide Instanzen abgelehnt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Antragsteller begehren die Aufhebung einer den Beigeladenen erteilten Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohnhauses auf ihrem westlichen Nachbargrundstück insbesondere deshalb, weil sie die Zulassung der Garage wegen der vom ersten Obergeschoss des Wohnhauses zugänglichen Terrasse für abstandsrechtlich unzulässig halten. Das Grundstück der Antragsteller ist mittig mit einem querrechteckig aufgestellten Wohnhaus bebaut. Das westlich angrenzende Baugrundstück der Beigeladenen soll gleichfalls mittig mit einem Wohnhaus querrechteckig bebaut werden. An der Nordostecke soll ein mit 8,99 m zum Grundstück der Antragsteller grenzständiger Anbau errichtet werden. Der Anbau soll im Erdgeschossbereich eine „Garage“ mit einer Nutzfläche von knapp 42 m² aufnehmen. Auf der Garage soll eine 6 m breite und 9 m tiefe Dachterrasse mit Abstand von 3 m zur Grundstücksostseite errichtet werden.
Das VG Osnabrück hatte den Eilantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung mit der Begründung abgelehnt, dass der Garagenanbau trotz der auf dem Dach ruhenden Terrasse nicht gegen abstandsrechtliche Vorschriften verstoße. Die Terrasse liege außerhalb des 3 m-Bereichs. Es müsse daher nicht geprüft werden, ob die Garage durch das Anbringen der Terrasse ihre abstandsrechtliche Privilegierung gemäß § 5 Abs. 8 NBauO verliere. Zudem seien als Garagen nach § 2 Abs. 10, § 5 Abs. 8 NBauO auch Gebäude„teile“ anzusehen, die zum Abstellen von Kraftfahrzeugen dienten.
Das OVG Lüneburg ist der Ansicht des VG Osnabrück gefolgt und hat die Beschwerde der Antragsteller abgelehnt. Das Bauvorhaben verletze kein nachbarschützendes Abstandsrecht. Die Garage falle unter das Abstandsflächenprivileg des § 5 Abs. 8 Satz 2 Nr. 1 NBauO und dürfe daher ohne Grenzabstand gebaut werden. Die Dachterrasse sei von der Garage gesondert zu beurteilen. Da die Terrasse aber selbst mit einem Abstand von 3 m von der Grundstücksgrenze entfernt errichtet werden solle, liege kein Verstoß gegen Abstandsvorschriften vor. Der Nachbar könne nicht gegen ein Bauwerk vorgehen, dass oberhalb des Bereichs, der ihn „abstandsrechtlich etwas angehe“, für ein Vorhaben genutzt werde, das für sich genommen Abstandsrecht nicht verletze. Jeder Nachbar könne nur die Einhaltung der Beschränkungen verlangen, die der Gesetzgeber für den als abstandsrelevant definierten Bereich bestimme. Selbst wenn der Gesetzgeber daher Grundflächenhöchstgrenzen für abstandsrelevante Anlagen bestimme, könne der Nachbar nur die Einhaltung der Länge, Höhe, Fläche und des dort entfalteten Nutzungszwecks der grenzständigen Gebäude beanspruchen, soweit dies im 3 m-Korridor stattfinde. Jenseits des 3 m-Bereichs sei lediglich noch die Gebäudehöhe, nicht aber mehr der Nutzungszweck der Anlage relevant. Dies lasse sich auch dem gesetzlichen Wortlaut entnehmen. Nach § 2 Abs. 10 Satz 1 NBauO seien als „Garage“ nicht nur Gebäude, sondern auch Gebäudeteile anzusehen, die zum Abstellen von Kraftfahrzeugen dienen. Entsprechend sei daher gemäß § 5 Abs. 8 Satz 2 Nr. 1 NBauO als „Garage“ nur der Gebäudebereich anzusehen, der im 3 m-Abstandsbereich auch tatsächlich zum Unterstellen von Kraftfahrzeugen oder in vergleichbarer Weise genutzt werde. Außerhalb des 3 m-Bereichs sei es unerheblich, ob das Bauwerk anderen Zwecken diene, jedenfalls dann, wenn die Bereiche eindeutig voneinander getrennt werden könnten. Dies sei bei der hier streitgegenständlichen Garage mit der Überbauung durch eine Terrasse der Fall.

C. Kontext der Entscheidung

Die Frage der Nutzbarkeit von Garagendächern als Dachterrasse ist eine in der Rechtsprechung vor allem auch der Obergerichte vielfach diskutierte Frage, die auf der Grundlage der landesrechtlichen Bauordnungen zum Teil in langer Tradition anders als vom OVG Lüneburg entschieden wird. Das OVG Lüneburg selbst verweist darauf, dass das OVG Münster, der VGH München und das OVG Berlin-Brandenburg in ständiger Rechtsprechung annehmen, dass ein Garagengebäude nur dann unter die abstandsrechtliche Privilegierung falle, wenn es ausschließlich zum Unterstellen von Kraftfahrzeugen oder in ähnlicher Weise genutzt werde. Wenn das Gebäude – und sei es auch außerhalb des abstandsrechtlich relevanten Bereichs – daneben andere Funktionen erfülle, insbesondere als Unterbau für eine Dachterrasse diene, dürfe die Garage nicht ohne Einhaltung des erforderlichen Grenzabstandes errichtet werden. Die nachträgliche Errichtung einer Dachterrasse auf einer grenzständigen oder grenznahen Garage sei daher als Nutzungsänderung anzusehen. Dies wird damit begründet, dass die abstandsrechtliche Privilegierung von Garagen in der Landesbauordnung als Ausnahmeregelung eng auszulegen sei. Die Abstandsflächenregelungen sollten grundsätzlich der ausreichenden Belichtung und Belüftung, dem Feuerschutz und der Erleichterung der Brandbekämpfung zugunsten der Nachbarn dienen. Vor allem soll aber durch den Sozialabstand das störungsfreie Wohnen gewährleistet sein. Eine Beeinträchtigung der genannten Funktionen sei nach dem gesetzgeberischen Willen lediglich zugunsten gleichrangiger Ziele hinnehmbar. Darunter falle zwar auch die Unterbringung von Kraftfahrzeugen zur Entlastung des öffentlichen Verkehrsraums, der Wunsch an einer besseren Grundstücksausnutzung sei jedoch kein gleichrangiges Kriterium (so st. Rspr. des OVG Münster, Beschl. v. 13.03.1990 – 10 A 1895/88, mit Verweis auf frühere Entscheidungen und auf den VGH München, Urt. v. 10.04.1975 – Nr. 168 I 72 – BayVBl 1976, 207; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 30.11.2009 – OVG 10 S 30.09).
Die nachträgliche Errichtung einer Dachterrasse kann aus Sicht des OVG Münster nur dann nicht zu einer Nutzungsänderung führen, wenn sich die Genehmigungsfrage für den „Unterbau“ der Terrasse nicht neu stellt. In der zugrunde liegenden Fallkonstellation wehrten sich Nachbarn gegen die nachträgliche Anbringung eines Balkons auf einem grenzständig errichteten Anbau. Die in der Sache vorliegende Errichtung einer Dachterrasse auf dem Anbau musste in diesem Fall nicht als einheitliches Vorhaben, sondern konnte wegen der gegebenen (abstandsflächen)rechtlichen Unterscheidbarkeit isoliert betrachtet werden. Die Änderung bzw. Nutzungsänderung warf nämlich die Genehmigungsfrage für den Unterbau nicht neu auf, weil die Errichtung der Dachterrasse keine im Vergleich zum bisherigen Vorhaben nachteiligeren Auswirkungen auf die durch die Abstandvorschriften geschützten Belange hatte (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 16.05.2004 – 2 A 222/14). Damit mildert das OVG Münster – anders als das OVG Lüneburg in der vorliegenden Entscheidung meint – seine bisherige Rechtsprechung nicht ab, sondern bleibt seiner bisherigen Rechtsprechung treu. Denn der Bestand und die bisherige Wohnnutzung des Anbaus wurden mit Ausnahme der Nutzung eines Teilbereichs des Daches nicht geändert, so dass hier eine gesonderte baurechtliche Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit der Nutzung des Dachs angezeigt war. Dieser Fall unterscheidet sich jedoch von der Konstellation, in dem ein als Garage (und damit ein zum Unterstellen von Fahrzeugen genutzter Baukörper) nunmehr im Teilbereich des Daches zu Aufenthaltszwecken genutzt wird.
Anders als in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Berlin/Brandenburg wird die Nutzung von Garagendächern als Dachterrassen von den Obergerichten im Saarland und in Baden-Württemberg seit jeher für zulässig gehalten, wenn sich die Nutzung des Daches auf den abstandsrechtlich irrelevanten Bereich beschränkt (vgl. z.B. OVG Saarlouis, Beschl. v. 31.05.2007 – 2 A 189/07; VGH Mannheim, Urt. v. 04.05.1995 – 8 S 369/95, und VGH Mannheim, Urt. v. 24.07.1998 – 8 S 1306/98). Es sei nicht gerechtfertigt, wertungsmäßig von einer Einheit zwischen Garage und Terrasse auszugehen und der Garage ihre abstandsrechtliche Privilegierung abzusprechen, wenn nachbarliche Belange durch die Dachterrasse nicht nachteilig berührt würden.
Der letztgenannten Ansicht hat sich auch das OVG Lüneburg angeschlossen. In seiner Begründung hat es vor allem auf die Vorschrift des § 2 Abs. 10 NBauO abgestellt, der als Garagen nicht nur Gebäude, sondern auch Gebäudeteile ansieht, die dem Abstellen von Kraftfahrzeugen dienen. Deshalb verlange § 5 Abs. 8 Satz 2 Nr. 1 NBauO auch nur, dass die Gebäudeteile, die den Grenzabstand unterschreiten, allein der Garagennutzung dienen. Außerhalb des 3 m-Bereichs könne das Bauwerk jedenfalls dann anderen Zwecken dienen, ohne dass das Abstandsprivileg entfiele, wenn diese Bereiche eindeutig voneinander getrennt werden können. Das gelte auch für die Nutzung des Daches.
Damit hat das OVG Lüneburg von dem vergleichsweise strengen sog. „Alles-oder-nichts-Prinzip“ für Bauvorhaben in Niedersachsen Abstand genommen und der Baufreiheit und weitergehenden Grundstücksnutzung den Vorzug gegeben. Abgesehen davon, dass andere landesrechtliche Bauordnungen die gesetzliche Anknüpfung und Herleitung dieser Rechtsprechung mitunter bereits sprachlich nicht hergeben dürften, werden damit die strengen abstandsrechtlichen Vorschriften und die Ausnahmetatbestände aufgeweicht – ein Vorgehen, das nach Ansicht der Obergerichte in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Berlin/Brandenburg wegen der gesetzgeberischen Intentionen nicht angezeigt ist.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das OVG Lüneburg hat mit dem Beschluss eine für Niedersachsen bislang noch nicht entschiedene, in der Praxis jedoch häufig anzutreffende Problematik geklärt. In dicht bebauten Gebieten tritt der Wunsch, Garagendächer für Aufenthaltszwecke zu nutzen, verstärkt auf. Für Niedersachsen hat das OVG Lüneburg nunmehr die Nutzung eines Garagendaches als Terrasse außerhalb der 3 m-Abstandsfläche für zulässig erklärt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Garagen- und die Terrassennutzung des Gebäudes „eindeutig voneinander getrennt werden können“. Wie eine derartige Trennung konkret erfolgen kann bzw. aussehen muss, lässt das OVG Lüneburg offen. Auf der sicheren Seite dürfte der Bauherr sein, wenn mit Hilfe baulicher Maßnahmen verhindert werden kann, dass der zum Nachbargrundstück freizuhaltende 3 m-Bereich überhaupt betreten werden kann. Dies könnte beispielsweise durch ein Geländer oder eine Brüstung auf dem Dach erreicht werden. Diese sollten in einer Höhe errichtet werden, die ein Übersteigen nahezu unmöglich macht. Ob eine rein optische Trennung, zum Beispiel durch eine abweichende Oberflächenbeschaffenheit der Terrasse die erforderliche eindeutige Abgrenzbarkeit erbringen kann, dürfte hingegen zweifelhaft sein. Damit dürfte die Gefahr der illegalen Nutzung des 3 m- Bereichs nämlich nicht hinreichend zu verhindern sein. Dieser Umstand dürfte bei der Frage der Genehmigungsfähigkeit bzw. Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung aber durchaus zu berücksichtigen sein.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Das OVG Lüneburg gibt neben der konkreten Frage der Zulässigkeit der Dachterrassen auf Garagengebäuden Zweifeln Raum, ob die niedersächsische Abstandsflächenvorschrift des § 5 NBauO überhaupt so etwas wie einen Sozial-, d.h. einen dem Wohnfrieden dienenden Abstand gewähren soll. Dazu führt das Gericht aus, dass bemerkenswerterweise die Gesetzesbegründung zur Neufassung der NBauO (LT-Drs. 16/3195, S. 74) den Begriff des Wohnfriedens allein für das in § 7 Abs. 4 NBauO bestimmte Gebot verwendet, Fenster zweier auf demselben Grundstück stehender Gebäude müssten einen Abstand von mindestens 6 m einhalten. Für die Regelung des § 5 NBauO werde lediglich dargelegt, die Abstandsvorschriften erfüllten nunmehr allein bauordnungsrechtliche Zielsetzungen. Sollte das Gericht diese Linie weiter verfolgen, dürfte sich daraus eine weitere Aufweichung der Abstandsvorschriften ergeben. Wenn nämlich der Wohnfrieden als Schutzzweck der Abstandsgebote wegfiele, dürfte dies eine weitere, großzügige Auslegung der Privilegierungsregelungen in Niedersachsen ermöglichen.

Dachterrasse auf Garage
Birgit OehlmannRechtsanwältin

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