Nachfolgend ein Beitrag vom 20.3.2019 von Krenberger, jurisPR-VerkR 6/2019 Anm. 6

Leitsatz

Ein mit dem Zusatzzeichen „Lärmschutz“ versehenes Streckenverbot (hier: Zeichen 274) ist auch vom Führer eines geräuscharmen Elektrofahrzeugs zu beachten.

A. Problemstellung

Das KG hatte als Rechtsbeschwerdegericht zu prüfen, ob ein Zusatzzeichen „Lärmschutz“ auch für Elektroautos zwingend Geltung beansprucht.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das KG hat den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts verworfen. Die Rechtslage ist eindeutig, das Recht bedarf keiner Fortbildung. Lediglich zur Ergänzung der dem Betroffenen mitgeteilten Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft, welcher der Senat inhaltlich folgt, wird ausgeführt:
Nach der vom Verteidiger geäußerten Auffassung hinge die Frage, ob ein Verkehrszeichen 274 vom Führer eines Elektrofahrzeugs zu beachten ist, davon ab, wie viele derartige Fahrzeuge zugelassen seien. Die Wirksamkeit von Verkehrsregelungen müsse aber klar, einfach und deutlich sein. Sie von empirischen Erhebungen abhängig zu machen, würde den Normappell schwächen und die Verkehrssicherheit gefährden. Möchte der Betroffene schneller fahren dürfen als andere Verkehrsteilnehmer, so muss er dies dadurch erreichen, dass dem Zeichen 274 ein Zusatzzeichen hinzugefügt wird, das Elektrofahrzeuge vom Streckenverbot ausnimmt. Ein solches Verwaltungsverfahren wäre auch der Ort, an dem die Gefährlichkeit des Mitzieheffekts – hier wäre der Begriff der Normbeachtungserosion passender – erörtert werden könnte. Hier wäre ggf. auch die in der Rechtsmittelschrift aufgestellte Behauptung zu wiederholen, ein Elektrofahrzeug fahre – unabhängig von der Geschwindigkeit – stets „geräuschlos“.

C. Kontext der Entscheidung

Kurz und schmerzlos: Das KG bestätigt die allgemeine Rechtsprechung, nach der Verkehrszeichen aller Art keiner Interpretation durch den Verkehrsteilnehmer bedürfen (Krenberger in: BeckOK StVR, § 41 StVO Rn. 106, 107). Möchte der Verkehrsteilnehmer das Privileg erhalten, sich nicht an eine Verkehrsregelung halten zu müssen, muss er auf dem Verwaltungsweg eine Abänderung erstreben.
Der Lärmschutz im Allgemeinen ist im Verkehrsrecht ein hohes Gut und wird nicht auf verwaltungsrechtlicher Ebene oft im Streit bemüht. Auch in Ordnungswidrigkeitenverfahren wird der Lärmschutz als Schutzzweck bestätigt und keinesfalls bei der Bemessung der Rechtsfolgen als untergeordneter Aspekt eingeordnet: Das OLG Karlsruhe (Beschl. v. 09.10.2017 – 2 Rb 8 Ss 643/17; Beschl. v. 02.03.2004 – 2 Ss 25/04 – NJW 2004, 1749) erläutert, dass es der hohe Rang des Rechtsguts der psychischen und physischen Gesundheit der Anwohner von Straßen und Autobahnen nicht zulasse, einen Geschwindigkeitsverstoß nur deshalb als weniger pflichtwidrig zu gewichten, weil die missachtete Geschwindigkeitsbeschränkung allein aus Gründen des Lärmschutzes angeordnet war. Ein Amtsgericht sei deshalb an der Anordnung des Fahrverbots nicht dadurch gehindert, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung aus Gründen des Lärmschutzes nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO angeordnet war (KG, Beschl. v. 10.02.1999 – 2 Ss 19/99; KG, Beschl. v. 07.12.1998 – 2 Ss 285/98). Weitere Obergerichte haben sich dieser Ansicht angeschlossen und den Verfassungsrang des Schutzgutes betont (BayObLG, Beschl. v. 16.06.1994 – 1 ObOWi 173/94 – NZV 1994, 370; KG, Beschl. v. 15.04.2005 – 2 Ss 56/05 – 3 Ws (B) 132/05, 2 Ss 56/05, 3 Ws (B) 132/05 – VRS 109, 132). Das OLG Bamberg (Beschl. v. 21.11.2006 – 3 Ss OWi 1516/06) ergänzte die Rechtsprechung noch um den Aspekt, dass ein aufgrund der Umgebung oder Dunkelheit optisch für den Betroffenen nicht ohne weiteres erkennbarer Grund für die Lärmschutzmaßnahme ebenso wenig die Annahme eines privilegierenden Augenblicksversagens rechtfertige, wie die Feststellung, dass eine Vielzahl ortsunkundiger Autofahrer die konkrete Geschwindigkeitsbegrenzung missachtet.
Auch zum Thema „Ausnahme für Elektroautos“ gab es kürzlich obergerichtliche Rechtsprechung: Das OLG Zweibrücken (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 05.11.2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 75/18 – ZfSch 2019, 49) bestätigte die Rechtsprechung zur Vorsatzannahme bei Geschwindigkeitsverstößen auch für Elektroautos: Auch bei einem Elektrofahrzeug steigen mit zunehmender Geschwindigkeit Art und Umfang der Fahr(außen)geräusche sowie der durch das Abrollen der Räder bewirkten Fahrzeugvibrationen; auch ist für den Fahrer das Maß der gefahrenen Geschwindigkeit anhand der schneller vorbeiziehenden Umgebung erkennbar. Schon seit längerem war zudem bekannt, dass auch das mit dem Zusatz „Luftreinhaltung“ versehene Verkehrsschild Zeichen 274 Anlage 2 über die Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit den Führern von emissionslosen Elektrofahrzeugen (bisher) nicht gestattet, schneller als erlaubt zu fahren (OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.06.1998 – 1 Ss 338/98 – NZV 1998, 422)

D. Auswirkungen für die Praxis

Auch wenn in diesem Fall keine Ausnahme für den Betroffenen gemacht werden konnte: Verkehrszeichen gerade in Form von Zusatzzeichen sind keine starren Objekte, sondern können auch in ihrer Bedeutung erweitert oder gar neu erfunden werden, wenn es einen entsprechenden Zweck zu verfolgen gilt. Zusatzzeichen gemäß § 42 StVO sind nicht abschließend in den Anlagen zur StVO geregelt (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.10.1979 – 1 Ss 234/79 – DAR 1980, 127). Dies ist auch unproblematisch aus Abschnitt 3 Spalte 3 Anlage 3 zu Zeichen 314.1 Anlage 3 zu entnehmen (Krenberger in: BeckOK StVR, § 41 StVO Rn. 109). Dies konnte schon bei Parkplätzen für Elektrofahrzeuge beobachtet werden: Für den Verstoß gegen ein in den Anlagen zur StVO nicht vorgesehenes Verkehrszeichen (im konkreten Fall Elektroladeplatz) darf sogar ein Bußgeld verhängt werden (OLG Hamm, Beschl. v. 27.05.2014 – III-5 RBs 13/14 – NZV 2015, 455; OLG Köln, Beschl. v. 12.12.2013 – III-1 RBs 349/13 – NZV 2014, 332; a.A. AG Lüdinghausen, Urt. v. 15.06.2015 – 19 OWi 88/15 – NStZ-RR 2015, 261). Ob sich auch umgekehrt einmal eine Veränderung zugunsten des Betroffenen, gerade im Zusammenhang mit der angestrebten Elektromobilität ergeben wird, bleibt abzuwarten.

Streckenverbot zum Lärmschutz gilt für alle
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