Nachfolgend ein Beitrag vom 15.1.2019 von Götsche, jurisPR-FamR 1/2019 Anm. 6

Leitsätze

1. Mit der Anpassung von Eheverträgen unter dem Gesichtspunkt der Rechtsmissbrauchskontrolle (§ 242 BGB) sollen ehebedingte Nachteile ausgeglichen werden; sind solche Nachteile nicht vorhanden oder bereits vollständig kompensiert, dient die richterliche Ausübungskontrolle nicht dazu, dem durch den Ehevertrag belasteten Ehegatten zusätzlich entgangene ehebedingte Vorteile zu gewähren und ihn dadurch besser zu stellen, als hätte es die Ehe und die mit der ehelichen Rollenverteilung einhergehenden Dispositionen über Art und Umfang seiner Erwerbstätigkeit nicht gegeben (Fortführung von Senatsbeschlüssen vom 08.10.2014 – XII ZB 318/11 – FamRZ 2014, 1978 und vom 27.02.2013 – XII ZB 90/11 – FamRZ 2013, 770).
2. Zur Anwendung von § 1381 Abs. 1 BGB bei Unterhaltsüberzahlungen.

A. Problemstellung

Ist ein bei Eingehung der Ehe geschlossener Ehevertrag, der den Ausschluss insbesondere des Zugewinnausgleichs enthält, anpassungsfähig, wenn sich das berufliche Fortkommen der Ehe anders als erwartet entwickelt hat?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Zwei Wochen vor ihrer Eheschließung in 1989 hatten die Beteiligten einen notariell beurkundeten Ehevertrag geschlossen. Dieser sah unter anderem bei einer Ehedauer von weniger als zehn Jahren den Ausschluss des Versorgungsausgleichs und den vollständigen Verzicht auf nachehelichen Unterhalt vor, wobei diese Ausschlüsse im Falle der Geburt eines gemeinsamen Kindes gegenstandslos werden sollten. Der Zugewinnausgleich wurde zulasten der Antragstellerin modifiziert, insbesondere sollte die Arztpraxis des Antragsgegners unberücksichtigt bleiben.
Aus der Ehe ging die 1991 geborene gemeinsame Tochter hervor. Die Antragstellerin hat nach Abschluss ihres Studiums zur Produktdesignerin zeitweise auf Basis eines geringfügigen versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisses in der Arztpraxis ihres Ehemannes gearbeitet. Im Übrigen kümmerte sie sich um die Haushaltsführung und Kinderbetreuung. Seit 2008 bezieht sie eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Im Jahr 2005 trennten sich die Eheleute. Die Ehe wurde 2011 rechtskräftig geschieden. Im Scheidungsverbund wurde der Versorgungsausgleich durchgeführt, in dem die Antragstellerin – wirtschaftlich betrachtet – nach Hin- und Herausgleich insgesamt rd. 66.000 Euro kapitalisiert erhielt. Zudem wurde die Folgesache nachehelicher Unterhalt geregelt.
In der abgetrennten Folgesache Zugewinnausgleich wurde der Antragsgegner auf einen offenen Teilantrag der Antragstellerin rechtskräftig zur Zahlung eines Zugewinnausgleichsbetrages i.H.v. 50.000 Euro verpflichtet. Die Antragstellerin fordert im vorliegenden Verfahren einen weiteren Zugewinnausgleich i.H.v. rd. 75.000 Euro. Das Vermögen des Antragsgegners besteht im Wesentlichen aus zwei Kapitallebensversicherungen i.H.v. rd. 100.000 Euro und dem Hausgrundstück mit einem Verkehrswert von (bereinigt) rd. 150.000 Euro. Der Antragsgegner berief sich u.a. auf ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 1381 BGB, weil die Antragstellerin in 2008 Kranken- und Arztunterlagen unterdrückt habe, aus denen sich eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit ergeben hätte und ihr aus diesem Grunde ein überhöhter Ehegattenunterhalt rechtskräftig zugesprochen worden sei.
Der BGH hat (anders als das eine Anpassung vornehmende Oberlandesgericht) die volle Wirksamkeit des Ehevertrages bestätigt.
Dieser halte der Inhaltskontrolle im Hinblick auf die zunächst angestrebte Doppelverdienerehe und die auflösende Bedingung beim Versorgungsausgleichs- und Unterhaltsverzicht stand. Bei einer Anpassung des Ehevertrags müsse bedacht werden, dass die Kompensation ehebedingter Nachteile für den haushaltsführenden Ehegatten eine getrennte Betrachtung der Ausgleichssysteme (insbesondere Zugewinn- und Versorgungsausgleich) erfordere. Ausnahmsweise könne es in Fällen der sog. Funktionsäquivalenz von Versorgungs- und Zugewinnausgleich besondere Sachverhaltskonstellationen geben, in denen ein „Hinübergreifen“ auf das andere vermögensbezogene Ausgleichssystem im Rahmen der Ausübungskontrolle in Betracht gezogen werden könne. Diese Erwägungen haben solche Fälle im Blick, in denen ein haushaltsführender Ehegatte, der zugunsten der Familienarbeit auf die Ausübung einer versorgungsbegründenden Erwerbstätigkeit verzichtet habe, im Falle der Scheidung im Versorgungsausgleich keine Kompensation für seine Nachteile beim Aufbau von Versorgungsvermögen erlangt, weil der erwerbstätige Ehegatte aufgrund seiner individuellen Vorsorgestrategie keine nennenswerten Versorgungsanrechte erworben, sondern seine Altersvorsorge bei vereinbarter Gütertrennung (oder sonstigen Modifikationen des gesetzlichen Güterstandes) auf die Bildung von Privatvermögen gerichtet habe. In solchen Fällen könne es im Einzelfall geboten erscheinen, dem haushaltsführenden Ehegatten zum Ausgleich für die entgangenen Versorgungsanrechte einen modifizierten Zugewinnausgleich zu gewähren, der einerseits durch den zum Aufbau der entgangenen Versorgungsanrechte erforderlichen Betrag und andererseits durch die gesetzliche Höhe des Ausgleichsanspruchs beschränkt sei.
Die Antragstellerin hätte bei hypothetischer Versorgungsbiographie ohne die Ehe und die ehebedingte Rollenverteilung ein Versorgungsvermögen bei eigener Berufstätigkeit i.H.v. 110.000 Euro erwerben können, habe jedoch lediglich 66.000 Euro im Ergebnis des Versorgungsausgleichs erhalten. Allerdings komme ihr über den Zugewinnausgleich zusätzlich die wirtschaftliche Beteiligung an den Kapitallebensversicherungen des Antragsgegners zu. Damit gleiche das Güterrecht die ehebedingten Nachteile beim Versorgungsausgleich aus. Einen weitergehenden Zweck habe die Ausübungskontrolle nicht. Sie diene insbesondere nicht dazu, den benachteiligten Ehegatten zusätzlich so zu stellen, als hätte es die durch die Ehe und die mit der ehelichen Rollenverteilung einhergehenden Dispositionen über Art und Umfang der Erwerbstätigkeit nicht gegeben.
Ein Leistungsverweigerungsrecht wegen grober Unbilligkeit (§ 1381 Abs. 1 BGB) stehe dem Antragsgegner nicht zu, weil die Gewährung des Ausgleichsanspruchs in der vom Gesetz vorgesehenen Art und Weise dem Gerechtigkeitsempfinden nicht in unerträglicher Weise widerspreche. Dabei könne angesichts der rechtskräftigen Zuerkennung der Unterhaltsansprüche dahinstehen, ob die Entgegennahme von nicht geschuldetem Unterhalt eine grobe Unbilligkeit überhaupt begründen könne. Denn bei rechtskräftiger Unterhaltsentscheidung entstehe nur im Falle eines Prozessbetrugs oder nach § 826 BGB im Falle der vorsätzlichen sittenwidrigen Ausnützung eines als unrichtig erkannten Titels ein unerträglicher Zustand. Gründe in diesem Sinne seien hier nicht erkennbar.

C. Kontext der Entscheidung

Bei der Wirksamkeitskontrolle von Eheverträgen muss streng zwischen der Inhaltskontrolle und der Ausübungskontrolle unterschieden werden.
Bei der Inhaltskontrolle ist zu prüfen, ob die Vereinbarung zur Zeit ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt, dass ihr – losgelöst von der künftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse – wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) die Anerkennung zu versagen ist (st. Rspr. des BGH, vgl. BGH, Beschl. v. 15.03.2017 – XII ZB 109/16 – FamRZ 2017, 884). Neben der Beurteilung des objektiven Vertragsinhaltes sind die von den Ehegatten mit der Abrede verfolgten Zwecke sowie ihre sonstigen Beweggründe, die den begünstigten Ehegatten zu seinem Verlangen nach der Gestaltung des Ehevertrages veranlasst und den benachteiligten Ehegatten bewogen haben, diesem Verlangen zu entsprechen, zu berücksichtigen. Einen unverzichtbaren Mindestgehalt an Scheidungsfolgen gibt es nicht. Deshalb ist Sittenwidrigkeit nur sehr ausnahmsweise gegeben, wenn Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts ganz oder teilweise abbedungen werden, ohne dass dieser Nachteil für den anderen Ehegatten durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten, den von ihnen angestrebten Ehetyp oder durch sonstige gewichtige Belange des begünstigten Ehegatten gerechtfertigt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 15.03.2017 – XII ZB 109/16 – FamRZ 2017, 884; BGH, Beschl. v. 29.01.2014 – XII ZB 303/13 – FamRZ 2014, 629; BGH, Beschl. v. 31.10.2012 – XII ZR 129/10 – FamRZ 2013, 195). Vereinfachend gesagt begrenzt der BGH die Sittenwidrigkeit und damit die Gesamtunwirksamkeit auf „ganz miese Fälle“ (vgl. Milzer, NZFam 2018, 10 m.w.N.).
Bei der Ausübungskontrolle ist zu prüfen, ob und inwieweit es einem Ehegatten nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB oder wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB verwehrt ist, sich auf eine ihn begünstigende ehevertragliche Regelung zu berufen. Im Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe muss sich aus dem vereinbarten Ausschluss der Scheidungsfolge eine einseitige unzumutbare Lastenverteilung ergeben; dann sind im Wege der Vertragsanpassung die ehebedingten Nachteile auszugleichen (BGH, Beschl. v. 31.10.2012 – XII ZR 129/10 – FamRZ 2013, 195).
Dabei trennt der BGH im Grundsatz scharf zwischen jedem Ausgleichssystem. Eine Berufung auf eine wirksam vereinbarte Gütertrennung oder auf sonstige wirksame Modifikationen des gesetzlichen Güterstandes wird sich nur unter engsten Voraussetzungen als rechtsmissbräuchlich erweisen. Hat einer der Ehegatten durch eine von der ursprünglichen Lebensplanung abweichende einvernehmliche Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse – insbesondere durch die Übernahme von Haushaltsführung und Kinderbetreuung – Nachteile beim Aufbau einer eigenen Altersversorgung erlitten, wird diesem Umstand systemgerecht durch den Versorgungsausgleich Rechnung getragen. Für eine Ausübungskontrolle bezüglich der Vereinbarungen zum Güterrecht besteht dann regelmäßig kein Anlass mehr, und zwar auch dann nicht, wenn die ehebedingten Versorgungsnachteile des haushaltsführenden Ehegatten durch den Versorgungsausgleich nicht vollständig kompensiert werden konnten und der erwerbstätige Ehegatte in der Ehezeit zusätzlich zu seinen Versorgungsanrechten ein zur Altersversorgung geeignetes Privatvermögen aufgebaut hat (BGH, Beschl. v. 08.10.2014 – XII ZB 318/11 – FamRZ 2014, 1978).
Im vorliegenden Fall zeigt der BGH dann die bisher nur angedeutete Möglichkeit eines Hinübergreifens in das dem Güterrecht unterliegende Vermögen auf. Man kann in etwa wie folgt vorgehen:

Prüfung des Versorgungsausgleichs:
• konkretes Ergebnis des Versorgungsausgleichs
• fiktives Ergebnis der Altersversorgung
– Was hätte der benachteiligte Ehegatte ohne die Ehe an Altersversorgung erwirtschaftet?
– Besteht eine (unzumutbare) Differenz zum konkreten Ergebnis des Versorgungsausgleichs?
• konkretes Ergebnis des Zugewinnausgleichs
• Kompensiert der Zugewinn die unzumutbare Differenz jedenfalls ansatzweise?
– Falls nicht, kann der Zugewinnausgleich zugunsten des benachteiligten Ehegatten modifiziert werden
– Obergrenze dafür: Gesetzliches Ergebnis des Zugewinnausgleichs

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Inhaltskontrolle führt nur sehr ausnahmsweise zur Sittenwidrigkeit. Ein Anwendungsfall kann die Beurkundung eines Ehevertrages mit einer schwangeren Frau oder einer Frau mit einem Baby sein (BGH, Beschl. v. 15.03.2017 – XII ZB 109/16 – FamRZ 2017, 884).
Das Eingreifen der Ausübungskontrolle wird eher in Betracht zu ziehen sein, zum Beispiel wenn ein Ehegatte wegen unvorhergesehener Umstände einem Erwerb nicht (dauerhaft) nachgehen konnte. Dabei darf der durch den Ausschluss des Zugewinn- und/oder Versorgungsausgleichs benachteiligte Ehegatte nicht bessergestellt werden, als er ohne die Ehe und den damit einhergehenden Erwerbsverzicht stünde. Dies macht durchaus aufwendige fiktive Berechnungen der prognostischen Erwerbsbiographie und der daraus voraussichtlich erworbenen Versorgungsanrechte vonnöten, wie die vorliegende Entscheidung zeigt. Die fiktiven Versorgungsanrechte der gesetzlichen Rentenversicherung werden in der Regel auf die Weise zu ermitteln sein, dass die u.a. anhand tariflicher Regelwerke gemäß § 287 ZPO zu schätzenden Entgelte, die bei fiktiver vollschichtiger Erwerbstätigkeit in den Jahren der ehebedingten Aufgabe seiner Erwerbstätigkeit hätte erzielt werden können, in das Verhältnis zum jeweils gegebenen Durchschnittsentgelt aller Versicherten gesetzt und die sich hieraus ergebende Summe an Entgeltpunkten ermittelt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 27.02.2013 – XII ZB 90/11 – FamRZ 2013, 770).

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Nach verbreiteter Auffassung kann in der Entgegennahme von nicht geschuldetem Unterhalt durch den Ausgleichsberechtigten ein gegen das Vermögen des Ausgleichspflichtigen gerichtetes Fehlverhalten zu sehen sein, welches eine Herabsetzung des Ausgleichsanspruchs wegen grober Unbilligkeit nach § 1381 Abs. 1 BGB in Höhe des überzahlten Unterhalts rechtfertigt (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.02.2003 – 9 WF 191/02 – FamRZ 2004, 106, 107). Der BGH lässt dies hier offen, dürfte dies aber angesichts seiner Gründe eher kritisch sehen und auf absolute Ausnahmefälle (§ 826 BGB oder Prozessbetrug) begrenzen.

Anpassung von Eheverträgen unter dem Gesichtspunkt der Rechtsmissbrauchskontrolle
Danuta EisenhardtRechtsanwältin
  • Fachanwältin für Familienrecht
  • Fachanwältin für Arbeitsrecht
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Anpassung von Eheverträgen unter dem Gesichtspunkt der Rechtsmissbrauchskontrolle
Denise HübenthalRechtsanwältin
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